Michael Armitage: Landschaften der Gegensätze

Michael Armitage, Peace Coma, 2014, Foto: © White Cube, Prudence Cuming Associates Ltd
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3. März 2021
Text: Christiane Grathwohl

Michael Armitage: Paradise Edict.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag, Mittwoch, Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr,
Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr, Freitag bis Samstag 10.00 bis 20.00 Uhr.

Wiedereröffnung voraussichtlich am 8. März 2021.
Verlängert bis 18. April 2021.

Für den Museumsbesuch gelten die jeweils aktuellen Verordnungen der Behörden.

Michael Armitage. Paradise Edict. The promised land, 2019, Foto: Markus Tretter, © Michael Armitage
Michael Armitage, Baboon, 2016, Foto: Ben Westoby, © Michael Armitage, Foto: © White Cube

Michael Armitage (*1984) ist derzeit in aller Munde. Der Künstler ist in kurzer Zeit zum Shooting Star der Gegenwartsmalerei geworden. Mit Recht, wie man jetzt in seiner ersten Ausstellung in Deutschland, im Haus der Kunst in München sehen kann. Seine Ausbildung hat der in Nairobi geborene Künstler in London an der Slade School of Fine Art erhalten. In seinen Bildern setzt er sich mit elementaren Themen des Menschseins auseinander und verbindet die beiden Welten, in denen er lebt: Westeuropa und Ostafrika, London und Nairobi.

Den Auftakt der Münchner Ausstellung macht eine Serie von großformatigen Tier- und Affenporträts. Fast scheint es, als ob die Besucher von den tierischen Verwandten den Weg gewiesen bekämen in die mit „Paradise Edict“ überschriebene Ausstellung. Und diese empfängt einen mit Wucht. Die großformatigen Bilder sind in vier Werkgruppen gehängt. Auf die Tiere folgen Landschaften, die nicht nur Orte und Gegenden zeigen, sondern überlagert und durchdrungen sind von den Ereignissen, die dort in der Vergangenheit stattgefunden haben. Die Landschaften setzen sich aus einzelnen Malschichten zusammen, oft sind die Farben hell und leuchtend. Sie vermitteln eine Leichtigkeit, die im Widerspruch zu den Geschichten steht, die von Qualen und Ängsten, von grausamem Geschehen berichten. Ein weiterer Raum ist den Figuren gewidmet. Wobei Michael Armitages Interesse auf der Verschmelzung von europäischen Sagen mit ostafrikanischen Mythen liegt. Figuren aus der griechischen Antike, wie Antigone oder Midas, werden zu afrikanischen Gestalten, umgeben von allegorischen Tieren und symbolischen Gegenständen. Häufig bleiben die Bilder rätselhaft und entziehen sich der Interpretation, was an den fehlenden kulturellen Kenntnissen der westlichen Besucher liegen mag. Afrikanische Mythologie und Erzähltraditionen sind fremd. Doch die Atmosphäre, die Intensität, die von den Bildern ausgeht, ist überwältigend.

Anlässlich des kenianischen Wahlkampfs 2017 ist eine weitere Bildserie entstanden. Die Parlamentswahlen waren umstritten, Unruhen brachen aus und Michael Armitage nahm selbst an einer Massenkundgebung der größten Oppositionspartei teil. Szenen, die er bei dieser Gelegenheit beobachtete, sind in die Bilder eingeflossen. Menschen, auf einem Baum hockend, der Hühnerdieb, Feuerspringer, verstörende Ausschreitungen und Trompeten, die vom Weltuntergang zu künden scheinen. Immer mit von der Partie in diesen komplexen Bildern sind die Tiere: aufgeregte Affen und riesengroße, selbstzufriedene Kröten. Die Themen handeln von politischen Versprechen, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und von traumatischen Ereignissen.

Armitages Bildgeschichten werden stimmig unterstrichen durch seine Malweise und das Trägermaterial. Während er mit klassischer Ölfarbe arbeitet, mit ihrer ganzen Leuchtkraft und farbigen Intensität, ist der Malgrund in Europa unbekannt. Es ist Lubugo, die Rinde des Natalfeigenbaums, die in Süd-Uganda gewonnen wird. Es ist ein tuchähnliches Material, das traditionell bei Krönungs- und Heilungsritualen genutzt wird. Armitage hat es 2011 auf einem Touristenmarkt in Nairobi entdeckt und benutzt es seitdem für seine Bilder. Das Besondere an Lubugo ist, dass es kein glattes Material ist, sondern voller Astlöcher, voller Schrunden und Risse, die zur Geschichte des Baumes gehören. Armitage bezieht diese Unregelmäßigkeiten direkt in seine Komposition ein. Eine enorme Steigerung und Intensivierung der dargestellten exis­tenziellen Themen ereignet sich. Die Löcher, die Nähte, wo angestückt wurde, sogar die braunrote Naturfarbe des Lubugo hat im Zusammenklang mit der Malerei überhaupt nichts Störendes oder Artifizielles. Im Gegenteil vermittelt es die natürlichste Verbindung zur Mutter Erde. Mit Leichtigkeit scheint Michael Armitage die Gegensätze der Kontinente in seiner Malerei zu überwinden. Ein intensives Erlebnis.

[Christiane Grathwohl]