Bernard Voïta: Nachts im Museum

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1. Oktober 2018
Text: Dietrich Roeschmann

Bernard Voita: recto verso.
Kunstmuseum Solothurn, Solothurn.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 17.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 21. Oktober 2018.

www.kunstmuseum-so.ch

Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen:
Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2018, 192 S., 35 Euro / ca. 57.90 Franken.

Die Arbeiten, die Bernard Voïta (*1960) derzeit im Kunstmuseum Solothurn zeigt, dürften auf dem Weg zum Aufbau in einem Sprinter Platz gefunden haben. Dass sie jetzt dennoch sieben Säle füllen, erzählt viel über eine ihrer zentralen Quallitäten: Sie sind wahre Raumwunder, dehnen sich aus, falten sich auf, greifen nach dem Betrachter, und scheuen zugleich nicht den Rückzug, wie dieses kleine, gelbe Bildobjekt aus lackiertem Stahlblech, das in einem der letzten Räume dieser Soloschau zusammengeklappt an der Wand schläft. Es heißt „Jalousie III”, doch bis zur Finissage wird es – anderes als seine drei großformatigen Pendants in Rot und Grau nebenan – nicht mehr geöffnet werden. Es darf jenes Bild bleiben, als das Bernard Voïta es für diese Wand vorgesehen hatte.

Tatsächlich war der Künstler im Frühjahr schon einmal hier und hatte die Umrisse von „Jalousie III” mit einem Projektor an die Wand geworfen, wie auch die aller anderen Arbeiten. Nachts war er dann mit der Kamera durch das Haus gestreift, hatte die Probehängung fotografiert und die Aufnahmen in den Wochen danach zu einem schwarz-weißen Parcours arrangiert, der sich nun sowohl im Katalog als gut 60-seitige Bildstrecke wiederfindet als auch ausgefaltet in einer langen Vitrine im zweiten Saal. Die Idee, den Katalog vor Aufbau der eigentlichen Ausstellung als Modellskizze zu fotografieren, nachts im Museum statt tagsüber bei Sonnenlicht, gewissermaßen als geträumter Vorausschatten eines kommenden Ereignisses, passt gut zum Ausstellungstitel „Recto verso”. Und auch ansonsten steht hier vieles Kopf. So hat Voïta gleich im Entrée zu seiner Schau die Neonröhren von der Decke geholt und spiegelverkehrt am Boden montiert, so dass der Raum nun von unten erleuchtet wird und man das Gefühl nicht los wird, sich ins Innere einer Lochkamera verirrt zu haben. Tritt man aus dieser seltsam bodenlichtdurchfluteten Dunkelheit dann in den nächsten Saal, empfangen einen Voïtas Arbeiten in einer reduzierten Farbpalette, die auf den ersten Blick als optische Täuschung infolge des starken Hell-Dunkel-Kontrasts durchgehen könnte, tatsächlich aber ganz real ist: Voïta entzieht seinen Objekten und Fotografien, die er streng nach Regeln der Spiegelung und der Achsensymmetrie im neoklassizistischen Museumsbau verteilt hat, die Farben.

Übrig bleiben neben Schwarz und Weiß lediglich das Gelb von „Jalousie III”, das Rot der wie falsch programmierte Roboter in den Raum staksenden „Jalousien I” und „II” sowie das matte Braun des Kartons, aus dem der Künstler extrem stabile Unterkonstruktionen für unentschieden zwischen Lampenschirm und Pissoir-Modell changierende Skulpturen baut oder für leere, an Werbedisplays erinnernde Wandtafeln als minimalistische Urformen des Zeigens. Man fühlt sich wie in einer digital bearbeiteten Version der Wirklichkeit. Eingefasst wird die Schau von drei knapp unter der Decke hängenden Collagen aus fotografierten Kamerateilen, die sich zu schrägen Gehäusen fügen. Was aussieht wie eine DIY-Parodie der Überwachungstechnik, erzählt zugleich von Voïtas Faible für das Spiel mit unterschiedlichen Realitätsebenen. Schon zu Beginn seiner Karriere experimentierte der Welschschweizer, der seit 1989 in Brüssel lebt, mit fotografischer Unschärfe, Licht und Schatten und baute aus einfachsten Atelierutensilien vor der Kamera imaginäre Stadtlandschaften. Einen guten Eindruck von der Suggestivkraft dieser frühen Arbeiten gibt die winzigformatige Serie „White Garden” (1997), die zugleich eine Fährte zu der großen Werkgruppe „Melencolia” von 2014 legt. Auch diese Materialinszenierungen entstanden allein für den Moment der Aufnahme. Voïta arrangierte dafür Gegenstände wie Lampen, Aktenordner oder Diaprojektoren zu kleinteiligen Raumansichten, die er abfotografierte und die dank präzise kalkulierter Licht- und Schatteneffekte nun beständig zwischen Raum und Fläche, Gegenständlichkeit und geometrischer Abstraktion kippen. Eine faltbare Skulptur aus lackierten Stahlblechen, die im letzten Raum durch den Saal mäandert, beschließt die kurzweilige Schau mit einer schönen Metapher auf die Unendlichkeit der Möglichkeiten und Wirkungen räumlicher Inszenierung.